2. WEGABSCHNITT
Auf den Höllenstein
Ein naher, längst aufgelassener Steinbruch ermöglicht uns einen kurzen Blick in Millionen Jahre Erdgeschichte. Dann geht es auf den deutlich sichtbaren Felsrücken zu. Der Weg führt von der linken Seite hinauf. Wir folgen dem Rücken bis zur markanten Felssäule des „Stoamandls“, wo sich ein Ausblick nach Tschechien hinüber bietet.
Ein Blick in die Erdgeschichte
Im alten Steinbruch beeindrucken die mächtigen Felsen. Der Kalk ist hart, spröde und stark zerklüftet. Eigentlich ist das im Weinviertel, wo wir ansonsten an sanfte Landschaftsformen und weichen Untergrund gewöhnt sind, erstaunlich. Natürlich stellt sich da die Frage, wie all das entstanden ist.
Tief im Untergrund befinden sich die Gesteine der Böhmischen Masse, die Reste eines uralten, vor etwa 250 Millionen Jahren herausgehobenen Gebirges, die wir im Waldviertel noch an der Oberfläche finden. Im Weinviertel war es schon im Jura (vor ca. 180 Millionen Jahren) abgesunken und vom Meer überflutet. Im seichten und warmen Meer bildeten sich Korallenriffe, wie wir sie heute beispielsweise auf den Malediven oder vor der Ostküste Australiens finden können. Im Lauf der Jahrmillionen wurden diese Korallenstöcke mit den Kalkgehäusen abgestorbener Meerestiere zu einer festgefügten Masse verdichtet – der Kalkstein war entstanden. In der Kreidezeit (ab 140 Millionen Jahren vor unserer Zeit) begann durch die Kontinentalverschiebung langsam aber beständig die Heraushebung der Gebirge von den Alpen und Karpaten über den Balkan und den Kaukasus bis zum Himalaja aus dem Meer. Der riesige Meeresarm der Tethys wurde in zwei Teile geteilt: Vor ca. 24 Millionen Jahren, zu Beginn des Miozän, trennten die Alpen und eine riesige Insel vom Balkan bis zum Kaukasus den Vorläufer des Mittelmeeres im Süden von der Paratethys (Molassemeer) im Norden.
In den nächsten Jahrmillionen wurde die Paratethys zunächst zum Binnenmeer und zerfiel dann in mehrere Teile: das Pannonische Meer in Ungarn und im Osten Österreichs, das Schwarze Meer und das Kaspische Meer. Gleichzeitig begann die Einsenkung des Wiener Beckens, das von Gloggnitz bis nach Südmähren hinein reicht. Dieses Becken füllte sich zunächst mit Meeressedimenten und schließlich mit Schotter, der von den aus dem Westen einmündenden Flüssen antransportiert wurde.
Vor ca. 6 Millionen Jahren war das Pannonische Meer endgültig verlandet. Die weichen Meeressedimente wurden nun rasch erodiert, und stellenweise kamen die Reste der alten Juraklippen zum Vorschein, wie hier in den Falkensteiner Bergen. Ihren letzten Schliff erhielt unsere Landschaft in den Eiszeiten der letzten 2,5 Millionen Jahre. Ein Großteil der Alpen, sogar der Schneeberg und die Rax, waren von Gletschern bedeckt. Bei trockenem Klima wurden Unmengen von feinkörnigem Material aus den Gletschermoränen ausgeweht und als Löss in der weiteren Umgebung abgelagert. Dieses gelbliche, poröse und kalkhaltige Material bedeckt einen Großteils des Weinviertler Hügellandes, bildet ausgezeichnete Böden für Acker- und Weinbau und begründet den landschaftlichen Kontrast zwischen den Kalkklippen und der sanftwelligen Umgebung in Falkenstein.
Steppe auf den Felsen
Von Natur aus wäre fast ganz Mitteleuropa, wenn man von ganz hohen Bergen absieht, von Wald bewachsen. Praktisch bedeutet das, dass sich auf jedem Stück Land, das man sich selbst überlässt, im Laufe der Zeit Waldbäume ansiedeln. Wie lange das dauert, hängt von der Vorgeschichte der Fläche und vom Klima der jeweiligen Gegend ab. Im trockenen Weinviertel können schon Jahrhunderte erforderlich sein, bis auf einem Acker oder einer Viehweide Eichenwald entsteht.
Doch wie immer in der Natur gibt es zu jeder Regel ein paar Ausnahmen. Erstens gibt es doch auch unterhalb der Waldgrenze der Gebirge einige extreme Standorte, wo keine Bäume wachsen können. Felsrücken wie hier am Höllenstein zum Beispiel. Zweitens haben große pflanzenfressende Tiere früherer Zeiten, etwa Wildpferde, wohl das gleiche gemacht wie die Haustiere der Menschen späterer Jahrhunderte: durch die Weidetätigkeit die waldfreien Flächen vergrößert.
Das Ergebnis sind einerseits lückige Pflanzenbestände auf den Felsen, wo kein Baum und kein Strauch gedeihen können: die Felsrasen. Andererseits konnten sich Bestände niedrigwüchsiger Gräser entwickeln, die Trockenrasen genannt werden. Auf diesen Standorten bedeckt nur wenig Erde den Felsen, sodass das Wasser rasch versickert. Dadurch entstehen ähnliche Lebensbedingungen wie in den Steppen Osteuropas, wo einfach weniger Niederschlag fällt als in Mitteleuropa. Zahlreiche Pflanzenarten haben deshalb hier im Weinviertel, wo das Klima immer noch relativ trocken ist und sich durch heiße Sommer und kalte Winter auszeichnet, die Westgrenze ihrer Verbreitung.
Die Trockenrasen des Höllensteins sind im Vergleich mit denen der Leiser Berge oder der Pollauer Berge nicht besonders groß. Das Besondere daran liegt aber in der Verzahnung mit den Felsrasen, die zu den artenreichsten und größten des Weinviertels gehören. Und die weißen Kalkfelsen zwischen den sommerlich dürren Grashorsten erinnern in Falkenstein auch schon ein wenig an den Sommer am Mittelmeer.
Bei aufmerksamer Betrachtung sehen wir aber, dass das Vorkommen dieser Besonderheiten von der Bewirtschaftung der Flächen abhängt, wenn wir von den extremsten Standorten einmal absehen. Wird längere Zeit weder beweidet noch gemäht, siedeln sich die ersten „Dornsträucher“ an, die die Vorboten eines lückigen Eichenwaldes darstellen.
PFLANZENPORTRAIT: Federgras („Frauenhaar“)
Federgras, das im Weinviertel „Frauenhaar“ und in Ungarn gar „Waisenmädchenhaar“ genannt wird, ist so etwas wie das typische Gras der Steppe. Dabei fällt das Gras die längste Zeit des Jahres gar nicht wirklich auf. Mit derben, an Dürre und Nährstoffarmut angepassten Blättern ist es „halt auch so ein Gras“. Wenn die Früchte aber ihre langen, behaarten Anhängsel entfalten, kennt es wohl jeder. Manche Leute streicheln zärtlich die „Federn“.
Das im Weinviertel vorkommende Grauscheiden-Federgras ist im Westen verbreitet bis ins Wallis und an den Rhein. Nach Osten hin gehören Federgrassteppen zu den charakteristischen Vegetationsformen im Marchfeld, in der ungarischen Puszta, in Südrussland und über Kasachstan, Kirgisien und die Mongolei bis in die hochgelegenen Teile Zentralasiens, also etwa die Kältesteppen des Hochlandes von Tibet.
„Stoamandl“ – ein Blick auf die Pollauer Berge
Wenn wir das „Stoamandl“, eine harte, von Kalzitadern durchzogene Felsnadel im nördlichen Teil des Höllensteins betrachten, wird uns die jahrtausendelange Wirkung des Steppenwindes in unserer Landschaft bewusst. Vielleicht fällt uns erst jetzt auf, was in der Weinviertler Klippenzone eigentlich fast eine Selbstverständlichkeit ist: Fast ständig weht hier der Wind.
Vom „Stoamandl“ hat man auch einen hervorragenden Blick auf die weiter nördlich gelegenen Hügel der Klippenzone. Zunächst trägt der Dürnberg einen seltenen, lückigen, wärmeliebenden Wald aus Flaumeichen und Steinweichseln. Diese Baumarten werden wir auf einem anderen Hügel noch aus der Nähe kennen lernen.
Weiter im Hintergrund sehen wir die Pollauer Berge, die größte und höchste Hügelgruppe unserer Landschaft. Sie befindet sich bereits in Tschechien und beginnt in der Grenzstadt Mikulov/Nikolsburg. Die Pollauer Berge erreichen am Hügel Děvín/Maidenberg 555 m über dem Meer. Einen starken Kontrast zum sanftwelligen Hügelland des Weinviertels und Südmährens stellen die ausgedehnten Kalkfelsen dar. Auf flachgründigen Standorten trifft man großflächige Steppenrasen an.
Im östlichen Teil der Pollauer Berge finden sich die sanfteren Landschaftsformen der Flyschzone, die den nördlichen Wienerwald, den Bisamberg und die Weißen Karpaten prägt. Flysch gibt es auch im Untergrund der Falkensteiner Berge, ist hier aber überall vom darüber geschobenen Jurakalk oder vom angewehten Löss bedeckt. Die Gesteine der Flyschzone sind Sandsteine, die im Randbereich der Tiefsee aus abgelagerten Sedimenten entstanden sind. Im Zuge der Gebirgsbildung waren die Flyschgebiete der Alpen und der Karpaten über die Klippenzone miteinander verbunden. Nach dem Rückzug des Meeres wurde der Sandstein, der viel weicher ist als der Kalk, viel rascher abgetragen.
In Dolní Věstonice/Unterwisternitz, am nördlichen Rand der Pollauer Berge, wurde eine etwa 30.000 Jahre alte Frauenstatue gefunden, die ein interessanter Hinweis auf die uralte Besiedelung unserer Landschaft ist. Älteste Siedlungsspuren der Slawen stammen aus dem 6. Jahrhundert. Die Burgruinen Děvičky/Maidenburg und Sirotčí hrad/Rosenburg sind Relikte aus dem Mittelalter. Die weithin sichtbare Wallfahrtskirche auf dem Svatý kopeček/Heiliger Berg wurde im Jahr 1672 erbaut.
Seit dem Jahr 1976 besteht das Landschaftsschutzgebiet Pálava, das den Höhenzug sowie angrenzende Au- und Teichlandschaften umfasst. 1986 wurde das Gebiet in das internationale Netz der Biosphärenreservate der UNESCO aufgenommen.